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Uran - Kollektives Erben für alle. 
Die Kunst und andere feinstoffliche Hinterlassenschaften der Wismut 
Eine Recherche von Thomas Goerge und Uwe Gössel 

"Hiroshima hat die Welt verändert. Das Gleichgewicht ist gestört", erklärte Josef Stalin nach dem verheerenden Abwurf der Atombomben im August 1945 hohen Funktionären der KPdSU und forderte: "Baut die Bombe!" Es gab allerdings im eigenen Land kein passendes Uranerz. Im Erzgebirge der DDR wurden sowjetische Geologen allerdings fündig und starteten das Atomprogramm Stalins. Damit begann gleichzeitig der atomare Wettlauf mit dem Westen. Ende 1946 nahm die Sowjetunion ihren ersten Atomreaktor in Betrieb und zündete 1949 die erste Atombombe – dank des Urans aus dem Erzgebirge. Für den Uranabbau wurde 1946 die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft „SAG Wismut“ gegründet. Es war ein sowjetisch kontrollierter, militärisch abgeschirmter Betrieb, ein Staat im Staat, in dem die DDR fast nichts zu sagen hatte. Heute erinnert es an die Form kolonialer Ausbeute: Aus allen Teilen der Sowjetunion kamen Bergleute ins Erzgebirge die anfangs bei der lokalen Bevölkerung zwangseinquartiert wurden. Innerhalb kurzer Zeit arbeiteten dort bis zu 200.000 Menschen und machten die Region zum weltweit viertgrößten Produzenten von Uran. Erst am 1. Juni 2021 wurde die Arbeit eingestellt.

 

Was bleibt? Dutzende Quadratkilometer verseuchte Böden, zerstörte Landschaften und unzählige soziale Folgen der vielen 100 Tausend Menschen, die im Bergbaubetrieb Wismut gearbeitet haben. Es ist ein so komplexes wie belastetes Erbe, das noch viele Generationen beschäftigen wird: finanziell, gesundheitlich und ideell. Ihr Nachlass steht musterhaft für die Frage nach dem Umgang mit den Folgen der Vergangenheit. Von den materiellen Hinterlassenschaften ist fast nichts mehr zu erkennen. Die über weite Strecken sichtbaren Kegelhalden sind abgetragen, die riesigen Restlöcher wurden verfüllt und die Abraumhalden begrünt oder mit neuen Gewerbeparks überbaut. Ein Teil, der auch die insgesamt über 800 Jahre alte Bergbaugeschichte fasst, ist inzwischen Unesco-Weltkulturerbe: die "Montanregion Erzgebirge". Konkret erhalten geblieben sind hingegen hunderte Meter (geheime) Akten, Krankenberichte von Strahlenbelastungen, die sich durch viele Familiengeschichten ziehen und die Kunstsammlung der Wismut Stiftung gGmbH. Sie ist eine der größten Kunstsammlungen eines Unternehmens der DDR. Der Umgang der Böden ist besiegelt, völlig unklar ist offiziell bislang aber, wie mit diesem ideellen Erbe umgegangen wird, wie darin gelesen werden kann oder was es aus heutiger Perspektive für die Zukunft erzählen kann. Hier beginnt unsere Recherche.

 

Sie zielt auf drei Bereiche:

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Erstens: die Kunstsammlung der Wismut Stiftung gGmbH.

Erhalten sind über 4.200 Kunstwerke, die jetzt in einer fensterlosen Halle lagern: Ölgemälde, Skizzen, Fotos und Filme und über zwanzig Regalmeter Tagebücher der Brigaden. In Form der Protokollliteratur sind sie zum Teil in mehreren Sprachen geschrieben und erzählen von Zielen, Hoffnungen oder von erschütternden Katastrophen unter Tage.

Zweitens: Sichtung der Archive der „Wismut-Erbe-Forschung“

Zweitens: Akteneinsicht und Sichtung der Archive der „Wismut-Erbe-Forschung“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Uns interessiert die Frage, wie die Aufarbeitung eine Form finden kann, damit es öffentlich wirksam wird.

 

Drittens: die persönlichen Geschichten

der Menschen in kleinen Orten wie in Lauterbach bei Marienberg. 

Ein Beispiel: 1948 ist dort ein Kind gestorben, zwangseinquartierte sowjetische Bergleute hatten zwar damit etwas zu tun, offizielle Untersuchungen blieben aber aus. Hinter dem Dorf gibt es Stellen, ehemalige Abraumhalden, wo auch im kältesten Winter kein Schnee liegen bleibt. Und warum bleibt bis heute der Schuhladen im Ort mit einem Radonmessgerät ausgestattet? Auffällig ist ein lautes Schweigen der Menschen über die negativen Geschichten aus der sowjetischen Wismut-Zeit.

Thomas Goerge und Uwe Gössel untersuchten in ihrer künstlerischen Arbeit der letzten drei Jahre verschiedene Böden auf ihre kollektive Bedeutung hin. Aktuell forschen sie unter dem Titel „Urban Mining Moabit. Bodenproben Trümmerberge“ an den Folgen der Zerstörungen in Berlin im Zweiten Weltkrieg.

In München untersuchten sie in dem Schauspielprojekt „1130 Meter Schwere Reiter“ die Militärgeschichte der Schweren Reiter Straße.
In „Bodenprobe Berlin“ die 12.000 jährige Besiedelungsgeschichte verhandelten sie die Besiedelungsgeschichte Berlins (Uwe Gössel in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Berlin, 2019). In Hallbergmoos performte ein breiter Kreis der Gemeinde mit zahlreichen Künstlern zusammen die wechselvolle Geschichte einer vermeintlich unscheinbaren Fläche vor dem Dorf (Thomas Goerges „75 Hektar Wiese“ 2021). Und in „Boden. Treff. Leipzig“ bespielten sie im städtischen Untergrund die Millionen Jahre Bodengeschichte der Stadt (In Kooperation mit dem Schauspiel Leipzig und dem Naturkundemuseum 2021).

 

Während der Arbeit in Leipzig kamen zahlreiche Hinweise auf die Geschichte des Erzgebirges zu Tage und lenkten den Fokus auf die vielen offenen Fragen vor Ort. Thomas Goerge und seine Frau besitzen außerdem durch ihre familiäre Herkunft aus dem Erzgebirge einen engen Draht zu vielen Zeitzeugen. Der persönliche Bezug wirft ein Licht auf sehr sensible Flözschichten in den kollektiven Geschichten.

 

Unsere Recherche nimmt diese abstrakten Dimensionen des Erbes über die Bande der Kunstsammlung, der Böden und der persönlichen Geschichten in den Blick und wird mit zwei verschiedenen Weisen durchgeführt:

 

Zum Einen mit dokumentarisierenden Methoden wie Zeitzeugen-Interviews, der Analyse der Kunstsammlung oder die Auswertung der Brigade-Tagebücher. 

Zum Anderen mit künstlerischen Methoden. Wir, als Recherchierende, performen das Recherchieren: Mit weißen Kostümen die an die Grubenanzüge der Steiger erinnern, sind wir mit verschiedenen Requisiten, die gleichsam Werkzeuge sind, ausgestattet: Grubenlampe, Geigerzähler, Klappspaten oder Konstruktionsbleistift. Wir messen bei Gesprächen die radioaktive Belastung messen oder legen eine Sammlung von verschiedenen Staubschichten anlegen, die als Proben gleich wichtig gewertet werden wie Bodenproben in der bereits „sanierten“ Landschaft. Das Wohnmobil ist unsere Forschungsstation, ein Messlabor mit Asservatenkammer.

Die künstlerische Form der Recherche ist unser Förderschacht in die Tiefe des kollektiven Gedächtnisses.

Nach der Gründung der DDR vor über 80 Jahren und dem Fall der Mauer vor über dreißig Jahren würde im Frühjahr 22 erneut eine Zeitenwende ausgerufen. Neben den Themen Klimaneutralität, Dekolonisierung und Nachhaltigkeit kommt jetzt noch das Streben nach nuklearem Frieden hinzu. Denn tatsächlich stammt das Uran für die russischen Nuklearwaffen, durch die sich die westliche Welt bedroht sieht, aus dem Erzgebirge. Das Erbe ist kollektiv und die Hinterlassenschaften sind über Generationen hinweg zu denken.

Die Recherchen zum Nachlass der Wismut besitzen symbolischen Wert. Unsere Arbeit zielt auf tiefer liegende Muster: wie gehen die Menschen mit der Erde, der Natur und auch damit mit sich um? Wir lenken unseren intellektuellen wie sensiblen Blick auf das Erben und auf die Erbmasse. 

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„Das Projekt wird gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“

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